Geflüchtete

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So abstrakt die Weltgeschehnisse auch verlaufen mögen, irgendwann kreuzen sie doch meist meinen Weg. Ich befand mich im ICE von Freiburg nach Düsseldorf. In Mannheim oder Karlsruhe stieg eine Gruppe junger Syrer ein. Sie bestand aus zwei jungen erwachsenen Männern in meinem Alter, einem kleinen Jungen und einem fast volljährigen Mächen. Sie nahmen im hintersten Waggon Platz in dem sonst nur Fahrräder und Koffer abgestellt werden und die Sitzreihen parallel zur Fahrtrichtung verlaufen. Zu meinem Entsetzen stieg dicht hinter ihnen eine tätowierte nach Bier stinkende Glatze ein, die wohl eigentlich das Abteil für sich und ihre plärrenden Kopfhörer beanspruchte. Als sich dann auch noch herausstellte, dass die jungen Araber keine Fahrscheine bei sich hatten, war das Eschaton kurz davor sich zu immanentisieren. Die jungen Leute wussten allerdings nicht einmal, wie ein Nazi aussah, sodass sie unverblümt auf den Dortmunder Stiernacken einredeten und fragten, ob sie denn im richtigen Zug seien, ob sie noch einmal umsteigen müssten, wie sie in Dortmund den Weg finden würden und so weiter. Zu Beginn gab er nur grummelnde Laute von sich und ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob er bereits sturztrunken war oder einfach missmutig oder abschätzig. Die Syrer ließen nicht locker und ich versuchte ein wenig zu dolmetschen, wobei niemand wirklich Englisch konnte. Als der Schaffner anfing zumruzicken ließ er sich schnell von der öffentlichen Meinung, deren Sprachrohr zu sein ich mich wähnte, umstimmen und nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten stellte er den Reisenden zwar irgendwelche Papiere aus, aber ließ alle weiterfahren. Ich schloss noch die Aufladestecker ihrer Smartphones an und widmete mich wieder meinem Buch. Kurz darauf öffnete die Glatze, gefolgt von einem der Geflüchteten in meinem Alter, die Tür zum Großraum. Sie sahen mich verschmitzt an und fragten, ob ich mit auf Toilette käme. Leider hatte ich gerade aufgehört zu kiffen, sodass ich ablehnen musste und mir wurde erneut schmerzlich die Funktion von Drogen vor Augen geführt. Wenn kein Gespräch möglich ist, und wo ist es das denn, wenn man das Wetter, Fußball, Lästern, Gossip für unwürdig erachtet, so geht die Aufgabe Gemeinsamkeiten zu finden, Interessen und Emotionen zu teilen an Drogen über. Sie geben einer entwurzelten Gesellschaft Halt, bieten gefühlte Konstanten, die man kulturübergreifend schätzt und auf die man sich einigen kann. “Nun sind völkische Abneigungen gewöhnlich nichts anderes als Abneigung gegen sich selbst, tief aus der Dämmerung eigener Widersprüche geholt und an ein geeignetes Opfer geheftet, ein seit den Urzeiten bewährtes Verfahren, wo der Medizinmann mit einem Stäbchen, das er zum Sitz des Dämons erklärte, die Krankheit aus dem Leib des Kranken gezogen hat.”1 Verbunden mit der Erkenntnis, dass die Angst vor dem Fremden die Angst vor der jouissance de l’autre ist, so denke ich, dass wir verlernt haben zu genießen. Wir konsumieren schlechtes Essen, saufen, rauchen und kaufen Scheiß aus Plastik und das ganze auch noch mit schlechtem Gewissen. Wir sind verunsichert und befürchten zu kurz zu kommen. Vielleicht ist eine pragmatische Lösung darin zu sehen, dass wir einfach alle Vollblutjunkies werden. Dann wissen wir woran wir sind, genießen umweltschonend und sozial und kennen unsere juissance beim anderen wieder. Ich wäre allerdings nicht ich, wenn ich all das nicht fix in meinem Kopf zusammengebastelt hätte und mich trotzdem nicht so verhalte. In halbstündigen Abständen gingen die beiden noch mehrmals auf Toilette und ich ließ sie jedes mal ziehen. Stattdessen drehte ich mich alle fünf Minuten zu dem Mädchen um. Sie lächelte zurück. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass von mir aus Millionen von aggressiven Muslimen mein Heimatland überrennen dürfen, wenn so eine Schönheit im Schlepptau ist. Ich ließ mir anmerken, dass ich völlig hin und weg war und bekam ein schlechtes Gewissen, da sie wohl höchstens gerade so volljährig war, sodass mein inerrer Zensor mich zu bändigen versuchte und außerdem war und bin ich kein Muslim. Kurz bevor wir am Düsseldorfer Hbf hielten packte ich also meine Sachen und wählte den hinteren Ausgang um ihr noch einen letzten Blick zuzuwerfen. Komischerweise schien es mir so, als würfen ihre Begleiter, die meine Faszinazion bemerkt haben mussten, mir sogar ermutigende Blicke zu. Der Nazi versuchte mich zu überreden noch bis Dortmund mitzufahren. Er wusste wahrscheinlich was für ein hartes Pflaster für Migranten das war. Ich jedoch ließ mich nicht beirren. Als die Zugtüre sich nach Halt des ICEs nicht sofort öffnen ließ packte ich meine Koffer und begab mich hektisch auf den Weg zum vorderen Ausgang des Waggons. Zwar beschwichtigte der Dortmunder mich noch, das Öffnen der Türen dauerte immer noch ein wenig nach Stillstand des Zuges, ich aber war völlig verkrampft. Als der Zug abgefahren war und ich am Bahnsteig stand überkam mich ein ekelhaftes Schamgefühl. Ich hätte ihr Freund werden können, herausfinden können, wo sie in Dortmund wohnen, ihnen mit meinem juristischen Hintergrund bei Ämtergängen behilflich sein können und Deutsch und Englisch beibringen können und das ganze noch mit der Aussicht darauf mit einem der schönsten Mädchen, die ich je gesehen hatte und die sich für mich interessiert hatte, Zeit zu verbringen. Ich hätte mit meinem Semesterticket von Dortmund sogar umsonst noch zurück fahren können. All das schwoll heiß in mir an und verebbte dann stumpf und resignativ aber hinterließ einen kleinen schmerzhaften Riss in meinem Selbstbild. Ich tröstete mich damit, dass mein Koffer für die Reise nach Dortmund ja viel zu schwer gewesen sei und wer weiß, ob ich noch einen zeitigen Zug zurück bekommen hätte.

1Musil, Mann ohne Eigenschaften, S. 424 unten.

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