Politische Ökonomie 101

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Als ich 2008 mein Abi machte war ich eher rechts. Ich interessierte mich nicht besonders für Politik. Schröder und Müntefering fand ich gut und die Hartzer sollten sich halt mal was anstrengen. Ich begann mein BWL Studium in München, das mir allerdings schnell zu langweilig wurde, sodass ich zu Jura in Freiburg wechselte. Mein Ziel war möglichst schnell reich und mächtig zu werden. Ich wollte durch Leistung etwas gelten, was ja auch der kollektive Traum unserer Gesellschaft ist. Dass ich in Düsseldorf aufgewachsen bin, hat sicher das seinige dazu beigetragen. Das Jurastudium ist bekanntermaßen zu Beginn nicht besonders fordernd, sodass ich viel Zeit hatte mich mit mir selbst und dem Internet zu beschäftigen. Ich wurde Zeitungs Junkie und las über Jahre quasi jeden Artikel in FAZ, Zeit und SZ, hinzu kamen über Twitter die FT, NYT, WSJ, le Monde und andere. Insbesondere der Crash 07/08 und die darauf folgende Staatsschuldenkrise interessierten mich brennend. Ich wollte wissen, wie Wirtschaft und Staat funktionieren. Hinzu kamen dezidiert linke Nachrichtenportale wie die Nachdenkseiten und telepolis.de. Occupy kam auf und ich verstand, dass Geld durch Kreditvergabe von Zentral- und Geschäftsbanken geschöpft wird und der Kapitalismus ein riesiges Schneeballsystem ist, in dem zwangsläufig Liquiditätsengpässe auftreten, wenn sich die Kreditvergabe nicht immer weiter beschleunigt. Ich stoße auf das Bretton-Woods Abkommen, was sich gut mit meinem Studium ergänzte, da ich als Schwerpunkt Internationale und Europäische Rechts- und Wirtschaftsbeziehung gewählt hatte, sodass es zu Überschneidungen meiner privaten Interessen, wie GATT/WTO und Globalisierung, sowie Investitionsschutzrecht und beispielsweise TTIP kam. Das öffentliche Narrativ zerbröckelte vor meinen Augen. War der Schuldner immer schuld? Aus juristischer Perspektive trägt der Gläubiger das Ausfallrisiko. Hierfür streicht er ja die Zinsen ein. Es kommt dann zwar zur Vollstreckung und gegebenenfalls zur Insolvenz, allerdings ist der Schuldner nach einer Dürreperiode dann von aller Last befreit. Zudem sind Staaten souverän und niemand kann in ihr Vermögen vollstrecken oder ihr hoheitliches Gesetzgebungsrecht von außen übernehmen. Immerhin repräsentieren sie scheinbar den Demos. Der Neoliberalismus war ein riesiges Lügenkonstrukt, welches auf dem Mont-Pèlerin seinen Anfang nahm. Es gab und gibt keinen trickle-down-effect. Austerität führt bei sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit zwangsläufig in eine Kontraktion und anhaltende Rezession der gesamten Wirtschaft. Ökonomie nur von der Angebots-Seite zu betrachten ist völlig verkürzt. Selbst wenn Steuern massiv gesenkt werden und Regulierungen, Umwelt- und Sozialstandards gestrichen werden, sodass Gewinne rapide steigen, wird niemand investieren, wenn er davon ausgeht, dass es keinen Absatzmarkt gibt, welcher wiederum maßgeblich vom Lohnniveau und also der Nachfrageseite abhängt. Ich sah und sehe mich als Europäer, jedoch fing ich an, an der EU und ihren Institutionen zu zweifeln. Das einzige halbwegs demokratisch legitimierte Organ ist das Parlament und es hat kaum Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess. Zudem ist sie eine, wenn auch wohlwollend geplante, Konstruktion amerikanischer Eliten, welche durch die Kohle- und Montanunion den Wiederaufbau Deutschlands unter argwöhnischem Beäugen Frankreichs vorantrieben, wie Yanis Varoufakis in seinem Buch „Der globale Minotaurus“ glaubhaft darlegt. Für die EU und andere große Binnenmärkte, wie z.B. NAFTA, oder das momentan verhandelte TTIP wird immer angeführt, dass Freihandel zu Frieden und Wohlstand führe. Zur Legitimierung werden einfache Modelle von Smith und Ricardo bemüht, welche von relativen regionalen Kostenvorteilen ausgehen, die jedoch weder Transport, noch Umweltkosten einpreisen, geschweige denn Entfremdung durch Spezialisierung beachten. Es stimmt, dass zu Kriegszeiten der Freihandel einbrach, was jedoch keinesfalls den Beweis dafür liefert, dass Handel Frieden schafft. Zudem nehmen sich Freihandel und Liberalismus nicht einmal selbst ernst. Wie kann es sonst sein, dass Entwicklungsländer alle Zölle und nicht-tarifären Handelshemmnisse abbauen müssen, wohingegen die entwickelte Welt weiterhin Landwirtschaft und Energie subventioniert? Dies und überhöhte Preise für Arzneimittel sind die Gründe des Scheiterns der WTO Runden in Seattle und Doha. Wie kann es zudem sein, dass private Banken, welche wie keine andere Industrie über den Leitzins am staatlichen Tropf hängen, in Boom Zeiten den Staat verteufeln und über alle Kanäle nach weniger Regulierung kreischen, im Crash sofort staatliche Bürgschaften, Beteiligungen und Gründungen von Bad Banks fordern? Wie ist es möglich, dass komparativ kreditwürdigere Länder in Kollusion mit privaten Gläubigern deren Forderungen gegen schwächere Schuldner übernehmen und diesen zugleich jene Maßnahmen, welche erstere aus der Kreditklemme gehievt haben, wie Abwrackprämie und staatlich bezahlte Kurzarbeit, untersagen. Das Schlimme daran ist, selbst wenn man dem Irrglauben erliegt Wirtschaftswachstum und Industrieproduktion seien des höchste Glück, ist diese Politik verfehlt. Sie hält nicht einmal ihren eigenen Maßstäben stand. Sie dient lediglich dem Aufrechterhalten einer gespenstischen globalen Bürokratie, welche zusammen mit den ihr zugehörigen Medien und einer umfassenden Idiologieblindheit den Schein der Alternativlosigkeit aufrechterhalten will und so den nötigen Umbruch bis zu einem Wiedererstarken der Rechten hinauszögert.

Mittlerweile glaube ich nicht mehr an zentralisierte, institutionalisierte Macht. Macht ist zwar ein Fakt, aber sie darf nur durch Kommunikation erlangt werden. Sie korrumpiert und dem kann nur durch Dezentralisierung und Subsidiarität entgegen gewirkt werden. Niemand sollte sich der Illusion hingeben durch Selbstverleugnung und Identifikation mit Autorität, also symbolischer Kastration, zu wahrer Macht zu gelangen. Hierdurch wird lediglich Gewalt über andere Menschen erlangt, welche vom Bedürfnis nach Empathie und Kommunikation entbindet.

The only good system is a sound system.

Ne travaillez jamais!

Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.

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